Mit dem 31. Dezember 2023 hat Dr. Michael Geschwinde, Jahrgang 1959, nach 31 Jahren das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege (NLD) verlassen und seinen wohlverdienten Ruhestand angetreten. Der gebürtige Kasselaner studierte von 1978 bis 1986 in Göttingen Vorderasiatische Archäologie, dann Ur- und Frühgeschichte und Anthropologie, während er gleichzeitig auf zahlreichen Grabungen im In- und Ausland tätig war. Auch heutigen Göttinger Studierenden ist er aufgrund seiner Mitarbeit in der studentischen Arbeitsgruppe, die die Göttinger Typentafeln erstellte, schon früh ein Begriff. Hier zeichnete er besonders für die Formenkreise der frühen und mittleren Bronzezeit verantwortlich. Nach dem Studium, das er mit einem Magister zu den schon lange als mögliche Opferplätze diskutierten Höhlenfundplätzen im Ith abschloss, folgten Tätigkeiten für das Lippische Landesmuseum, das Hannoversche Landesmuseum und ab 1988 für das Roemer- und Pelizaeusmuseum Hildesheim. Schon hier fällt eine beachtliche Publikationstätigkeit auf, die mühelos ein breites Themenspektrum von der nordwestdeutschen Bronzezeit – hier besonders zu Detailfragen zum südniedersächsischen Raum – über museumspädagogische Fragen, die mittelalterlichen Schätze des Stifts St. Mauritius Hildesheim bis hin zu ägyptologischen Themen abdeckt. 1993 wurde er schließlich Bezirksarchäologe für den Regierungsbezirk Braunschweig. Schon in den ersten Dienstjahren lässt sich eine aus der Museumsarbeit mitgebrachte Tendenz zur Flankierung seiner wissenschaftlichen Arbeit mit hochwertigen, allgemeinverständlichen Publikationen zu aktuellen Grabungsergebnissen erkennen: 1997 erscheinen allein zwei Wegweiser zur Ur- und Frühgeschichte, die einem breiten Publikum die damals neue Pipelinearchäologie in Niedersachsen sowie die bandkeramische Besiedlung der Lössbörden vermittelten. Parallel zu zahlreichen weiteren von Geschwinde geleiteten Projekten und Grabungen erfolgte 1999 die Promotion an der Georg-August-Universität Göttingen bei Gernot Jacob-Friesen zu den spätneolithischen und bronzezeitlichen Hügelgräbern auf der Großen Heide bei Ripdorf im Landkreis Uelzen. Im gleichen Jahr initiierte er eine Grabungskampagne, die Licht in die heiß diskutierte Frage nach einer prähistorischen Kultstätte auf dem Wurmberg bringen konnte. Im Jahr 2000 untersuchte er zudem das schon zuvor baubegleitend erfasste bandkeramische Erdwerk bei Kalefeld. Hierbei wurden neben der Luftbildprospektion auch geophysikalische Methoden erprobt. Damit war bereits der methodische Werkzeugkasten gepackt, der in dem zwischen 2006 und 2008 gemeinsam mit Dirk Raetzel-Fabian durchgeführten DFG-Projekt zu den Erdwerken im Braunschweiger Land zum Einsatz kommen sollte. Der dazugehörige Forschungsband gibt einen einzigartigen Einblick in die durch die Intensivierung der Luftbildarchäologie herausgearbeitete dichte Erdwerkslandschaft im Nordharzvorland. Die genannte Publikation, in der die Erdwerke als Zentren von Gesellschaften gedeutet werden, die durch Transhumanz geprägt waren, gilt mit Recht als Standardwerk. Lassen sich diese Forschungsarbeiten aus Geschwindes langjährigen Forschungsinteressen ableiten, so war mit dem gänzlich unerwarteten, wiederum DFG-gefördertem Harzhorn-Projekt ein wahrer Glücksfall für die archäologische Wissenschaft gelungen. Als zwei illegale Sondengänger der Northeimer Kreisarchäologin Petra Lönne Funde römischer Provenienz vom Harzhorn bei Kalefeld meldeten, wurde gemeinsam mit der Bezirksarchäologie Braunschweig und zahlreichen ehrenamtlichen Sondengängern ein erfolgreiches Konzept für die Erforschung des römisch-germanischen Schlachtfelds entwickelt. In Kooperation mit Michael Meyer von der Freien Universität Berlin konnte so ein für Norddeutschland einzigartig erhaltener römerzeitlicher Fundplatz des 3. Jahrhunderts n. Chr. erforscht werden. Die Feldforschungen mündeten in einer sehr gut besuchten Ausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum 2013 und der Errichtung eines Infopunktes, um die einzigartigen Forschungsergebnisse am Originalschauplatz zu vermitteln. Wiederum fast zeitgleich begann unter seiner Ägide die Wiederaufnahme und Neubewertung der ab 1934 in großem Stile betriebenen älteren Forschung an der bedeutenden Königspfalz Werla bei Schladen. Dieses gemeinsam mit Markus C. Blaich, der TU Braunschweig und dem Geopark Harz durchgeführte Projekt erbrachte zwischen 2015 und 2023 nicht weniger als vier gewichtige Monographien zur Forschungsgeschichte und historischen Überlieferung, zum Gräberfeld Werlaburgdorf, dem Befestigungswesen sowie zur Architektur und Pfalzstruktur. Zu diesen forscherischen Meilensteinen kamen natürlich stetige bodendenkmalpflegerische Maßnahmen, zu denen bis 2008 auch die Koordination und Durchführung größerer Grabungsvorhaben gehörten. Viele Kooperationen fanden auch mit den Kommunalarchäologinnen oder Kommunalarchäologen seines Arbeitsbereiches statt, so etwa mit Monika Bernatzky oder Petra Lönne. Wichtige Fundplätze und Projekte wie etwa zur Wüstung Klein Freden bei Salzgitter-Lebenstedt, zum Gräberfeld von Braunschweig-Rüningen, zum Pallwall bei Flechtorf, zur Stadtarchäologie in der Braunschweiger Altstadt, zum Friedhof an der Marienkirche in Wolfenbüttel oder zur Burg Lichtenberg wurden von Geschwinde maßgeblich mitbetreut und in kleineren Aufsätzen – nicht selten in der Archäologie in Niedersachen – vorgestellt oder als Abschlussarbeiten vergeben. Über seinen Lehrauftrag an der TU Braunschweig wandte er sich zudem immer wieder nicht nur an den Nachwuchs im Fach, sondern auch an angehende Lehrerinnen und Lehrer sowie Forschende aus den Geschichtswissenschaften. Weiterhin ist auch seine Tätigkeit in zahlreichen Kommissionen und Gremien zu nennen, wobei an dieser Stelle nur seine langjährige Mitarbeit im Vorstand der archäologischen Kommission für Niedersachsen e.V. von 2001 bis 2021 und die Tätigkeit in der Kommission Illegale Archäologie beim Verband der Landesarchäologien genannt werden sollen. Hier kann also schon jetzt das umfassende Lebenswerk eines Denkmalpflegers, Forschers und Vermittlers gewürdigt und der Hoffnung Ausdruck verliehen werden, dass Geschwinde trotz bekannter Leidenschaft für das Segeln und mediterranes Klima der niedersächsischen Archäologie noch lange erhalten bleibt. Tatsächlich ist dies keine unbegründete Hoffnung, hat er doch mit dem 2022 angelaufenen DFG-Folgeprojekt zur jungneolithischen Erdwerkslandschaft und dem 2023 entdeckten bedeutenden frühmittelalterlichen Gräberfeld am Exer in Wolfenbüttel noch bedeutende Projekte vor sich, deren Ergebnisse wir mit Spannung erwarten dürfen.