Die Nordsee und die Nordseeküste sind für Niedersachsen ein zentrales Thema und Teil der niedersächsischen Identität. Das gilt oft auch für Menschen, die nicht an der Küste leben. Dabei lassen sich zwei gegensätzliche Vorstellungen vom Küstenraum beobachten, die oft gleichzeitig bestehen. Das eine ist die Idee von einem naturgeprägten, idyllischen Raum. Zum anderen enthält das populäre Bild von der Küste immer auch die Gefährdung durch das Meer. Diese beiden gegensätzlichen Vorstellung vom Küstenraum – hier idyllisches, naturnahes Leben, dort gefährdeter Lebensraum, der beständig verteidigt werden muss – finden sich auch vielfach in der Archäologie.

Das vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) geförderte Projekt „Die Küste: Konfliktort zwischen Mensch und Natur? Geschichte und Gegenwart einer Landschaft zwischen Verklärung, Heroisierung und Schutz“ widmet sich der Frage, wie – mit welchen Worten, Bildern und Narrativen – in der archäologischen Fachwelt über die Küstenregion gesprochen wird und welche Auswirkungen dies auf die Vorstellung der Allgemeinheit hat. Verschiedene Kultur-, aber auch Naturwissenschaften haben sich bereits mit den Klischees und Erklärungsmustern befasst, die ihren Deutungen der Geschichte der Küstenregion zugrunde liegen. Dabei wurde offensichtlich, wie sehr die Vorstellungen vom Küstenbereich, die Fragestellungen der verschiedenen Fächer oder die benutzten Sprachbilder auch in der Wissenschaft von allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen ihrer jeweiligen Zeit und der jüngeren Vergangenheit geprägt sind. In der deutschsprachigen Archäologie ist eine solche kritische Sichtung der eigenen Deutungen bislang fast gar nicht erfolgt. Diese Lücke soll in einem gemeinsamen Projekt des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege und des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg angegangen werden. Darin sollen die Vielfalt der Kulturen und Wirtschaftsweisen im Küstenbereich sowie die unterschiedlichen, sich immer wieder verändernden Lebensbedingungen im Laufe der (Vor-)Geschichte stärker sichtbar gemacht werden. Zudem sollen bislang vernachlässigte Personengruppen stärker in den Blick genommen werden.

Ein erster Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern ganz unterschiedlicher Fachbereiche (z. B. Küstenschutz, Deichgeschichte, Archäologie, Naturschutz und Kunstgeschichte) hat im November 2024 bereits stattgefunden; ein Tagungsband befindet sich in Vorbereitung. Darüber hinaus wird das Projekt „Die Küste: Konfliktort zwischen Mensch und Natur? Geschichte und Gegenwart einer Landschaft zwischen Verklärung, Heroisierung und Schutz“ am 8. und 9. Oktober 2025 am Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg eine öffentliche Tagung veranstalten. Die im Projekt erstellte wandernde Posterausstellung „Küstengeschichte(n) – geliebt, gefürchtet, gestaltet“ wird ab Herbst 2025 zunächst am Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg und ab Februar 2026 am Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover gezeigt.