Zwischen den Welten

Jens Schneeweiß, Zwischen den Welten. Archäologie einer europäischen Grenzregion zwischen Sachsen, Slawen, Franken und Dänen.Göttinger Schriften zur Vor- und Frühgeschichte 36. Kiel/Hamburg 2020. 792 Seiten, 108 Tafeln, 258 Abbildungen, 36 Tabellen, 1 Beilage.ISBN 978-3-529-01536-6. 89,–€.

Den regionalen Schwerpunkt der vorliegenden Studie bildet die untere Mittelelbe mit dem Höhbeck im Zentrum. Hier trafen im frühen Mittelalter unterschiedliche Welten aufeinander: die Wikinger im Norden, das Reich Karls des Großen im Westen, gefolgt von den Ottonen, und die Slawen im Osten. Dieses Spannungsfeld vom 8. bis zum 11. Jahrhundert markiert den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen. Schon seit den 1960er Jahren stand dieses Gebiet immer wieder im Forschungsinteresse des Seminars für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen. Von 2004 bis 2010 leitete Karl-Heinz Willroth das von der DFG geförderte Projekt „Die slawische Besiedlung an der unteren Mittelelbe. Untersuchungen zur ländlichen Besiedlung, zum Burgenbau, zu Besiedlungsstrukturen und zum Landschaftswandel“. Erste Ergebnisse wurden bereits 2011 unter dem Titel „Slawen an der Elbe“ der breiteren Öffentlichkeit und 2013 in einem Sammelband zum Abschlusskolloquium des Projektes mit demTitel „Slawen an der unteren Mittelelbe“ der Fachwelt vorgestellt. Mit der hier vorliegenden Habilitationsschrift werden die Forschungen zu diesem Thema abgeschlossen. Die Arbeit enthält je einen Beitrag zu den archäozoologischen Untersuchungen von Peggy Morgenstern und zu den Holzkohleanalysenvon Oliver Nelle. 2005 bis 2009 wurden in der Region umfangreiche Ausgrabungen insbesondere in Siedlungen sowie in teilweise lange bekannten Höhen- und Niederungsburgen durchgeführt. Die Vorlage des Fundmaterials und der Befunde umfasst einen großen Teil der vorliegenden Arbeit. Die interdisziplinäre Herangehensweise bei der Auswertung – traditionelle Fund- und Befundanalyse, ergänzt durch geoarchäologische, historische und theoretische Aspekte – ermöglicht in der Gesamtschau die Darstellung verschiedener Perspektiven, die sowohl struktur- als auch ereignisgeschichtliche Interpretationen zulassen.So wird beispielsweise für die Beurteilung derProzesse am Übergang zum Frühmittelalter das Konzept eines Zeitgeistes entwickelt, das eine neue Sicht auf Kommunikationsnetzwerke, Kulturtrans-fer und Mentalitäten ermöglicht. Für die Karolingerzeit gelang besonders am Höhbeck die sonst seltene Verknüpfung schriftlich überlieferter Ereignisgeschichte mit konkreten Orten und führte zur Lokalisierung des im Diedenhofer Kapitular erwähnten Grenzhandelskontrollortes Schezla. In diesem Zusammenhang erfuhren die beiden Befestigungen auf dem Höhbeck, die Vietzer Schanze und die Schwedenschanze, eine wissenschaftliche Neuinterpretation. Auch für das 9./10. Jahrhundert gestatten die Untersuchungsergebnisse eine Korrektur der Lesart der Quellen insbesondere im Hinblick auf die Schlacht bei Lenzen im Jahre 929. Fürdie zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts zeigt sich schließlich die enge Bindung der Siedlungsentwicklung an die Dynamik der Flusslandschaft, die eine Ab- und Aufwertung verschiedener Standorte nach sich zog. Diese Studie dürfte als grundlegend für das Verständnis der Vorgänge vom Früh- zum Hochmittelalter in der Region und darüber hinaus zu bezeichnen sein und der Slawenforschung neue Impulse bieten.